Samstag, 23. Februar 2013

Exkurs: kolumbianische Mentalität

Nachdem ich jetzt vom Midstay Camp von AFS zurückgekommen bin, einem Camp, das alle Freiwilligen im Ausland mitmachen müssen, und in letzter Zeit sonst keine spektakulären Ereinisse passiert sind werde ich jetzt den ersten Exkurs in ein Feld der kolumbianischen Kultur schreiben. Das hatte ich mir schon seit langem vorgenommen und bitte sehr: hier kommt der Erste.
Ich werde mich hier auf einige Punkte der kolumbianischen Mentalität konzentrieren, die sich von der Deutschen unterscheiden, doch zwei Sachen vorweg:
Diese Liste besteht lediglich aus meinen Erfahrungen und denen von anderen Deutschen mit denen ich mich ausgetauscht habe. Somit beanspruche ich NICHT, dass diese Liste der Weisheit letzter Schluss oder vollständig ist. Ich kann mich irren und habe Kolumbien schließlich erst ein halbes Jahr erlebt!
Außerdem ist es logisch, dass wenn ich über allgemeine Tendenzen der kolumbianischen Mentalität schreibe ist das nur einen Tendenz und nicht mehr. Das heißt, dass es viele Kolumbianer gibt, die nicht so sind, die ich sehr häufig treffe; nur eben nicht so häufig wie diejenigen, die die Tendenz bestätigen.

1.       Kolumbianer denken in der Regel mehr über die Gegenwart, wohingegen Deutschen sich mehr Gedanken über die Zukunft machen. Das führt einerseits dazu, dass der Kolumbianer unbeschwerter die Gegenwart genießen kann, Aktivitäten eher spontan festgelegt werden und Kolumbianer wohl eine größere „Grundzufriedenheit“ haben als Deutsche. Deutsche würden so eine Haltung, in einem ersten Reflex, wohl als Ignoranz gegenüber der Zukunft beschreiben, die früher oder später zum Scheitern verurteilt sei: „Wie kann ich denn wissen, ob es mir immer so gut gehen wird? Schließlich baut der kluge Mann vor und der frühe Vogel fängt den Wurm.“. Der Kolumbianer hingegen würde dagegenhalten: „Warum soll ich mir jetzt Sorgen machen über eventuelle Probleme in der Zukunft, wenn ich sie vielleicht eh nicht beeinflussen kann. Besser ist es doch sich über das zu freuen was man hat.“
Somit ist es für mich nicht verwunderlich, dass nach einer repräsentativen,  aktuellen „Gallup“-Umfrage von Dez. 2012, in der in 143 Ländern nach positiven Emotionen und Wohlbefinden gefragt wurde, Kolumbien auf Platz 12 landet, Deutschland hingegen nur auf Platz 50. Dabei muss man bedenken, dass in großen Teilen Kolumbiens seit 49 Jahren Krieg herrscht und ein Drittel der Bevölkerung in Armut lebt und Deutschland der Fels in der Brandung der europäischen Schulden- und Wirtschaftskriese ist.
Eng mit damit verbunden ist, meiner Meinung nach, die deutsche Tendenz aus Unzufriedenheit mit dem was man hat immer nach mehr zu streben; mehr Wohlstand, mehr Wissen, mehr Fortschritt. Wer Goethes Faust gelesen hat wird wissen von was ich rede. Dieses Denken ist den meisten Kolumbianern gänzlich fremd. Somit ist der Handel der kolumbianischen Mentalität ungefähr: mehr Zufriedenheit und Entspanntheit und weniger Fortschritt und Effektivität. Der Deutsche wäre gewissermaßen das Gegenteil.

2.       Eine Sache, die einem Deutschen sofort auffällt ist die Herzlichkeit der Leute. Fremden wird hier in der Regel keinesfalls mit skeptischer Unsicherheit begegnet, wie das in Deutschland vielleicht der Fall wäre, sondern eher mit neugierigem Interesse. So ist es praktisch überall super einfach mit Leuten ins Gespräch zu kommen und anders als z. B. in Amerika ist der Spruch  „Mi casa es tu casa“ („Mein Haus ist dein Haus.“) wirklich wörtlich zu nehmen. Leider beschränkt sich diese Zuneigung leider allzu häufig lediglich auf Menschen im unmittelbaren Umfeld des Kolumbianers, sprich Freunde, Familie und Bekannte. Dass sich wie in Deutschland Millionen für eine Katstrophe auf einem anderen Erdteil, wie für den Tsumani 2004 im Indischen Ozean, sammeln ließen halte ich eher für unwahrscheinlich.

3.       Stichwort Familie! Die Familie ist für den typischen Kolumbianer das ein und alles. Hier spielt sich ein großer Teil des Soziallebens ab und es ist für junge Leute absolut nicht ungewöhnlich bis zu ihrem 30sten Lebensjahr bei Mama und Papa zu leben. So ist es nicht verwunderlich, das dir ein echter Kolumbianer sehr wahrscheinlich an die Gurgel springt wenn du seine Mutter beleidigst. Selbst meine beiden Gasteltern, beide gestandene Richter, fahren jedes Wochenende zu ihren Eltern um mit ihnen im Schnitt um die 4 Stunden zu reden. Dort sind sie nicht allein, sondern es versammelt sich ein großer Teil der Familie, der es eben einrichten konnte zu kommen. Ein weiterer Nebeneffekte dieser Fokussierung auf die Familie sind, einerseits der ausgeprägte Nepotismus in kolumbianischen Institutionen und Firmen sowie die für deutsche Maßstäbe extreme Beschützung vieler Töchter durch ihren Papa.

4.       Eine anderer wichtiger Punkt ist, dass Kolumbianer ihre Emotionen viel eher nach außen tragen, so mein Eindruck. Eine schöne Geschichte dazu: Als einmal das kolumbianische Nationalteam in der WM-Qualifikation gespielt hatte, war ich mit einem Freund auf einem Hügel, von dem man die ganze Stadt überblicken kann, um den Hund auszuführen. Wir waren am Reden als plötzlich die ganze Stadt wie aus einer Kehle „GOOOOOOL!!!“ schrie. Offensichtlich hatte Kolumbien ein Tor geschossen J.Allerdings äußert sich diese Emotionalität auch im Negativen, wenn einem nachts in einer Bar von einer Schlägerei am Nachbartisch plötzlich die Bierflaschen um die Ohren fliegen… Dieser kultureller Unterschied ist für mich, als nicht sehr emotionale Person, wohl einer der schwierigsten, aber ich versuche mein Bestes. Außerdem ist anzumerken, dass diese Emotionen und Irrationalität nicht von vorneherein schlecht sind. Es kommt, meiner Meinung nach, eben auf die Situation an: Wer anfängt über Evolution, Politik oder Wirtschaft zu fühlen hat genauso verloren wir der, der mit logischen Gründen einer Frau seine Liebe erklärt.

5.       Eine vielleicht weniger tief gehende Sache, die einem schnell auffällt sind Vorurteile, die in der kolumbianischen Gesellschaft noch viel mehr verankert sind als in der deutschen. Trotz der krassen kuturellen Diversität hört man überall abfällige Kommentare über „negritos“ („Negerlein“), „indios“ (abfällige Bezeichnung für Indigene) oder „maricas/mariposas“ („Schwuchteln“). So sieht man sogar im Fernsehen „Komiker“ die sich schwarz anmalen und dann in ihrer Show immer diejenigen sind die dümmliche und naive Kommentare abgeben. Eng verbunden mit der ausgeprägten Homophobie ist auch das Bild vom „richtigen“ Mann. Dieser hat am besten in jeder Stadt in der Gegend eine Freundin, gibt sich keine Blöße und verteidigt seine Ehre kämpfend.

6.       Je nach Quelle sind 82% - 90% der Kolumbianer katholisch. Weit nicht alle gehen jeden Sonntag in die Kirche, aber nichtsdestotrotz hat die Kirche im Gegensatz zu Deutschland noch einen erheblichen Einfluss in der Tagespolitik und in der Gesellschaft insgesamt. Das kommt z. B. dann zum Ausdruck, wenn am Aschermittwoch sich fast die ganze Stadt, von der Verkäuferin und Lehrerin bis zum Polizisten und Bettler, ihr Aschekreuz auf die Stirn malen lässt. Allerdings leben wohl die wenigsten Leute nach den Vorgaben der Kirche und haben somit eine gewisse Doppelmoral.

      Diese sechs Punkte sind für mich bis jetzt so die wichtigsten um die kolumbianische Mentalität grob zum umreißen. Allerdings muss gesagt werden, dass insbesondere Punkte wie Vorurteile oder die Religiosität stark von Region zu Region und zwischen den sozialen Schichten variieren und man somit nur schwer von „einer“ kolumbianischen Mentalität sprechen kann.
      In nächster Zeit werde ich einige solcher Exkurse schreiben, allerdings wahrscheinlich zu weniger komplizierten und weniger tiefgründigeren  Themen als der Mentalität. Mir jedoch gefällt es am meisten diese zu entdecken, viel mehr jedenfalls als mich auf kolumbianisches Essen oder Vögel zu konzentrieren. Also bis bald mit anderen Themen.




4 Kommentare:

  1. Sehr gelungen, das meiste (außer die Vorurteile gegenüber den "Negern") könnte ich wohl auch für die Tanzanier unterschreiben.

    Besonders hat mir der Satz über Politik und einer Frau gefallen :D

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  2. Sehr aufschlussreich, vielen Dank.

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  3. Es tut mir Leid, aber jetzt werde ich Kritik ausäußern müssen. Ich bin mit einem Mann aus Kolumbien zusammen und das, was ich erlebt habe, entspricht absolut nicht der Situation, die du beschreibst. Ah, übrigens, ich bin eine Polin und wenn z.B Lewandowski bei der WM ein Tor schießt, dann sind wir alle, polnische Menschen auch extrem emotional ;) Es ist auch nicht anders in jedem Land bei einem wichtigen Spiel ... ebenfalls in Deutschland. Ah, und noch etwas, wenn man einen Blog erstellt, sollte man schon auf die Grammatik achten, ich kann es mir leisten, Fehler zu machen, ich bin schließlich nicht aus Deutschland und führe keinen Blog, aber du ... ? Wenn du so viel Mut hast, über eine andere Mentalität zu schreiben, die du nicht mal richtig kennst, dann lese es bitte zwei mal, bevor du etwas veröffentlichst. Danke.

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