Sonntag, 28. Oktober 2012

Meine Schule (nach 2 Monaten)


Weil in den letzten zwei Woche bei mir echt nichts Spektakuläres passiert ist möchte ich in diesem Eintrag ein bisschen detaillierter über mein Projekt berichten. Das habe ich zwar schon einmal gemacht; allerdings ist das damals ein bisschen knapp und unpersönlich ausgefallen. Teils deshalb, weil ich einen Überblick geben wollte, teils weil ich mich damals noch nicht so gut auskannte.

Der Hauptplatz meiner Schule mit Schülern der Klassen 1-5
Wie gesagt unterrichte ich vormittags die Klassen 6 bis 11 zusammen mit der Englischlehrerin der Schule und nachmittags die Klassen 1 bis 5 alleine. Dabei bereitet meine Kollegin immer den Unterricht vormittags vor. Für nachmittags muss ich mir also selbst was ausdenken, was bei den jüngeren (Klassen 1 bis 3) daraus besteht einzelne Vokabeln zu lernen, meistens durch malen oder singen. Bei Klassen 4 und 5 kann ich allerdings auch erste Sätze mit der Klasse bilden, weil diese Klassen die diszipliniertesten der ganzen Schule sind.
Disziplin! Ein großes Thema in fast allen Klassen. Da die Schüler an meiner Schule häufig die sind, die andere Schulen abgelehnt haben, haben wir ein überproportional  großes Problem mit Disziplin und Respekt gegenüber der Lehrkraft und andern Schülern. Meine Direktorin erklärte mir, dass die Schüler teilweise zuhause ständig Beleidigungen an den Kopf geworfen kriegen und geschlagen werden, sodass sie das dann in der Schule an ihre Klassenkameraden und Lehrer weitergeben.  Abhängig von der Klasse müssen wir deshalb permanent irgendwelche Schlägereinen schlichten. „Callense!“ (haltet den Rand), „Sientanse!“ (setzt euch) und „No se pelean!“ (Schlagt euch nicht) gehören so zu den meistbenutzten Sätzen im Unterricht. Die Situation ist bei den unteren Klassen häufig wegen ihrer Größe noch viel schlimmer. Mit dreißig schreienden Drittklässlern in einem Raum, einfach nicht an ihrem Platz bleiben wollen , manchmal spontan entscheiden auf dem Boden rumzurobben oder mit Müll aus dem Mülleimer ihre Klassenkameraden zu bewerfen ist es manchmal etwas schwierig die Körperteile auf Englisch zu erklären. Meine Strategie dabei ist es einfach die Störenfriede beharrlich zur Ruhe zu rufen, sie, wenn nötig, an ihren Platz zurückzutragen, und mir mit einem lauten „Silencio!“ rufe zu verschaffen. Das hat mal mehr, mal weniger Erfolg. Als Sanktionsmöglichkeit haben wir Lehrer lediglich das „Observador“ genannte Tagebuch oder den Gang zur Rektorin. Beide jagen den Schülern aber nur mäßig Angst ein. Mitunter deshalb sind viele Schüler auch relativ unbeeindruckt wenn ihnen Lehrer Anweisungen erteilen.

Einige Vorfälle in letzter Zeit, die mich als Lehrer eher traurig als verärgert stimmen, waren, dass sich einige Schüler neulich auf dem Schulklo mit einer Nadel die Zunge durchstochen haben um sich so einen Piercing zu machen. Die Schmerzen und die Infektionsgefahr dabei sind, wie man sich vorstellen kann, extrem hoch; der Preis, verglichen mit einem Piercing, durchgeführt nach den Regeln der medizinischen Kunst, jedoch unschlagbar niedrig.
Außerdem habe ich letzte Woche auf dem Nachhauseweg von der Schule eine von meinen Schülerinnen gesehen, die auf der Straße Pappkartons aufgelesen hat, diese kleinriss und sie in einen großen Bollerwagen warf. An dem Tag war sie, wie sowieso auch sonst nur selten, nicht in der Schule. Als ich vorbeilief verdeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und wand es von mir ab. Ihr war es offensichtlich peinlich, dass ich sie bei dieser Tätigkeit sah. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass sie, weil ihre Mutter wegen Mord im Gefängnis sitzt, bei ihrer Tante wohnt, die Müllsammlerin ist. Offensichtlich muss sie dabei des Öfteren mithelfen.
Miguel, unser „Master of Desaster“ aus der berüchtigten sechsten Klasse, zog neulich als er sich mal während er sich mal wieder mit den anderen Jungs in seiner Klasse schlug, einfachmal im Unterricht seinen Schlagring raus um damit Drohgebärden  in Richtung seines Gegners zu machen. Ich haben ihn natürlich sofort angefahren, dass er das Ding rausrücken soll: Waffen sind natürlich in der Schule verboten. Er allerdings steckt ihn einfach in die Tasche und sagt er hätte keinen. Das verkompliziert die ganze Angelegenheit beträchtlich. Unter kolumbianischem Gesetz ist es nämlich Kindesmissbrauch als Lehrer auch nur die Taschen eines Schülers zu durchsuchen. Das darf man nur, wenn man davor die, für solche Angelegenheiten zuständige, Kinderpolizei gerufen hat. Das wusste ich damals allerdings noch nicht, also haben wir Miguel der Schulpsychologin übergeben, die mit ihm ein höchst aufschlussreiches Gespräch führte (er weigerte sich zu sprechen). Danach ging er nach Hause. (die Sache hatte noch ein Nachspiel, als die Direktorin mitgekriegt hat, dass die Psychologin effektiv nichts gemacht hatte)

Diese Umstände sind die, die den Unterricht teilweise ziemlich schwer machen. Manche Lehrer gehen dann einfach dazu über die Schüler, die die Problem verursachen, rauszuschicken und nur mit denen Unterricht zu machen die wollen. Das führt natürlich dazu, dass der Unterricht an denen vorbeigeht, die ihn am meisten nötig hätten… Ich lasse mich von den ganzen Versuchen meinen Unterricht zu sabotieren allerdings nicht zu sehr beeindrucken und nehme sie schon gar nicht erst persönlich. Für die Lehrer die das tun ist der ganze Unterricht nämlich eine ziemliche nervliche Belastung.
Allerdings ist es auch wichtig zu wissen, dass nicht alle Schulen in Kolumbien so sind wie meine. Meine Koleginnen meinen, dass es in ganz Sogamoso und Duitama (die beiden größten Städte in der Nähe) keine Schule gibt, mit so vielen und schwerwiegenden Problemen wie meine. Auch die anderen Öffentlichen Schulen scheinen relativ gut zu sein, auch wenn fast alle Leute die es sich leisten können ihre Kinder auf Privatschulen geben.

Fahnenapell mit Gebet und den Hymnen von Kolumbien, Boyacá und Sogamoso
Außerdem sind meine Englischlehrerin und ich dabei den „English-Day“ zu organisieren. Dieser Tag wir vom kolumbianische Bildungsministerium vorgeschrieben und ist Teil dessen Planes das ganze Land bis 2020 zweisprachig zu machen (eine etwas unrealistische Zielsetzung, wenn man mich fragt, aber das sei mal dahingestellt). Dazu macht jede Klasse eine oder mehr Aktivitäten, wie z.B. ein Lied auf Englisch vortragen oder einen Tanz zu englischer Musik tanzen. Das führt dazu, dass mir „The Wind of Change“, eins von den Liedern, die wir ausgesucht haben ziemlich zum Hals heraushängt. Allerdings schlagen sich die Schüler die singen wollen erstaunlich gut, wie ich finde und somit bin ich halbwegs zuversichtlich, dass der Tag auch ein Erfolg wird.

Des Weiteren funktioniert der Gesangsunterricht, den ich seit einigen Wochen an eine blinde, ehemalige Schülerin gebe, die bald anfangen wir Musik zu studieren ganz gut. Sie muss sich noch überwinden laut zu singen, aber ich meine mit meinem Beschränkten Gehör einige Verbesserungen feststellen zu können. An dieser Stelle vielen Dank an Frau Lessle, meine ehemalige Gesangslehrerin, für die ganzen hilfreichen Tipps die sie mir gegeben hat. Zusammen mit einigen von meinen alten Gesangsetüden, die mir meine Eltern geschickt haben lässt sich, glaube ich, einiges bei dieser Schülerin bewegen.
Auch zum Thema Gesang: Da hier, so wie es schein alles eine offizielle Hymne zu haben scheint, nur meine Schule bis jetzt noch nicht, will der Musiklehrer meiner Schule will eine Schulhymne zusammenstellen und dabei das relativ gut Schulorchester (nur möglich durch eine großzügige Instrumentenspende an die Schule) verpflichten. Außerdem hat er mich gefragt ob ich die Hymne singen will. Da kann ich natürlich nicht nein sagen. Wenn die Aufnahme dann mal existiert kann ich sie vielleicht auch hier in meinen Blog stellen.


Mini-Fußball, die kolumbianische Nationalsportart, auf dem Sportplatz der Schule
Abgesehen von Schule ist doch noch etwas passiert: Ich war, zwar nicht sehr schlimm und als letzter von den AFS-Freiwilligen in Sogamoso, krank. Lediglich ein bisschen Fieber und Gliederschmerzen und auch nur zwei Tage. Ich hab die Zeit, wo ich nicht in der Schule war natürlich produktiv genutzt  und hab mir in beinahe neun Stunden alle drei Teile von „Herr der Ringe“ reingezogen (die einzigen DVDs in unserem Haus, die keine Raubkopien sind).




Jetzt ist aber auch Schluss. Lest weiter so angeregt und ich freue mich auf Feedback! 

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