Weil in den letzten zwei Woche bei mir echt nichts Spektakuläres
passiert ist möchte ich in diesem Eintrag ein bisschen detaillierter über mein
Projekt berichten. Das habe ich zwar schon einmal gemacht; allerdings ist das
damals ein bisschen knapp und unpersönlich ausgefallen. Teils deshalb, weil ich
einen Überblick geben wollte, teils weil ich mich damals noch nicht so gut
auskannte.
Der Hauptplatz meiner Schule mit Schülern der Klassen 1-5 |
Disziplin! Ein großes Thema in fast allen Klassen. Da die
Schüler an meiner Schule häufig die sind, die andere Schulen abgelehnt haben,
haben wir ein überproportional großes
Problem mit Disziplin und Respekt gegenüber der Lehrkraft und andern Schülern.
Meine Direktorin erklärte mir, dass die Schüler teilweise zuhause ständig
Beleidigungen an den Kopf geworfen kriegen und geschlagen werden, sodass sie
das dann in der Schule an ihre Klassenkameraden und Lehrer weitergeben. Abhängig von der Klasse müssen wir deshalb
permanent irgendwelche Schlägereinen schlichten. „Callense!“ (haltet den Rand),
„Sientanse!“ (setzt euch) und „No se pelean!“ (Schlagt euch nicht) gehören so
zu den meistbenutzten Sätzen im Unterricht. Die Situation ist bei den unteren
Klassen häufig wegen ihrer Größe noch viel schlimmer. Mit dreißig schreienden Drittklässlern
in einem Raum, einfach nicht an ihrem Platz bleiben wollen , manchmal spontan
entscheiden auf dem Boden rumzurobben oder mit Müll aus dem Mülleimer ihre
Klassenkameraden zu bewerfen ist es manchmal etwas schwierig die Körperteile auf
Englisch zu erklären. Meine Strategie dabei ist es einfach die Störenfriede beharrlich
zur Ruhe zu rufen, sie, wenn nötig, an ihren Platz zurückzutragen, und mir mit
einem lauten „Silencio!“ rufe zu verschaffen. Das hat mal mehr, mal weniger
Erfolg. Als Sanktionsmöglichkeit haben wir Lehrer lediglich das „Observador“
genannte Tagebuch oder den Gang zur Rektorin. Beide jagen den Schülern aber nur
mäßig Angst ein. Mitunter deshalb sind viele Schüler auch relativ unbeeindruckt
wenn ihnen Lehrer Anweisungen erteilen.
Einige Vorfälle in letzter Zeit, die mich als Lehrer eher
traurig als verärgert stimmen, waren, dass sich einige Schüler neulich auf dem
Schulklo mit einer Nadel die Zunge durchstochen haben um sich so einen Piercing
zu machen. Die Schmerzen und die Infektionsgefahr dabei sind, wie man sich
vorstellen kann, extrem hoch; der Preis, verglichen mit einem Piercing,
durchgeführt nach den Regeln der medizinischen Kunst, jedoch unschlagbar
niedrig.
Außerdem habe ich letzte Woche auf dem Nachhauseweg von der
Schule eine von meinen Schülerinnen gesehen, die auf der Straße Pappkartons
aufgelesen hat, diese kleinriss und sie in einen großen Bollerwagen warf. An
dem Tag war sie, wie sowieso auch sonst nur selten, nicht in der Schule. Als ich
vorbeilief verdeckte sie ihr Gesicht mit den Händen und wand es von mir ab. Ihr
war es offensichtlich peinlich, dass ich sie bei dieser Tätigkeit sah. Am
nächsten Tag erfuhr ich, dass sie, weil ihre Mutter wegen Mord im Gefängnis
sitzt, bei ihrer Tante wohnt, die Müllsammlerin ist. Offensichtlich muss sie
dabei des Öfteren mithelfen.
Miguel, unser „Master of Desaster“ aus der berüchtigten
sechsten Klasse, zog neulich als er sich mal während er sich mal wieder mit den
anderen Jungs in seiner Klasse schlug, einfachmal im Unterricht seinen
Schlagring raus um damit Drohgebärden in
Richtung seines Gegners zu machen. Ich haben ihn natürlich sofort angefahren,
dass er das Ding rausrücken soll: Waffen sind natürlich in der Schule verboten.
Er allerdings steckt ihn einfach in die Tasche und sagt er hätte keinen. Das
verkompliziert die ganze Angelegenheit beträchtlich. Unter kolumbianischem
Gesetz ist es nämlich Kindesmissbrauch als Lehrer auch nur die Taschen eines
Schülers zu durchsuchen. Das darf man nur, wenn man davor die, für solche
Angelegenheiten zuständige, Kinderpolizei gerufen hat. Das wusste ich damals
allerdings noch nicht, also haben wir Miguel der Schulpsychologin übergeben,
die mit ihm ein höchst aufschlussreiches Gespräch führte (er weigerte sich zu
sprechen). Danach ging er nach Hause. (die Sache hatte noch ein Nachspiel, als die
Direktorin mitgekriegt hat, dass die Psychologin effektiv nichts gemacht hatte)
Diese Umstände sind die, die den Unterricht teilweise
ziemlich schwer machen. Manche Lehrer gehen dann einfach dazu über die Schüler,
die die Problem verursachen, rauszuschicken und nur mit denen Unterricht zu
machen die wollen. Das führt natürlich dazu, dass der Unterricht an denen
vorbeigeht, die ihn am meisten nötig hätten… Ich lasse mich von den ganzen
Versuchen meinen Unterricht zu sabotieren allerdings nicht zu sehr beeindrucken
und nehme sie schon gar nicht erst persönlich. Für die Lehrer die das tun ist
der ganze Unterricht nämlich eine ziemliche nervliche Belastung.
Allerdings ist es auch wichtig zu wissen, dass nicht alle
Schulen in Kolumbien so sind wie meine. Meine Koleginnen meinen, dass es in
ganz Sogamoso und Duitama (die beiden größten Städte in der Nähe) keine Schule
gibt, mit so vielen und schwerwiegenden Problemen wie meine. Auch die anderen
Öffentlichen Schulen scheinen relativ gut zu sein, auch wenn fast alle Leute
die es sich leisten können ihre Kinder auf Privatschulen geben.
Fahnenapell mit Gebet und den Hymnen von Kolumbien, Boyacá und Sogamoso |
Des Weiteren funktioniert der Gesangsunterricht, den ich
seit einigen Wochen an eine blinde, ehemalige Schülerin gebe, die bald anfangen
wir Musik zu studieren ganz gut. Sie muss sich noch überwinden laut zu singen,
aber ich meine mit meinem Beschränkten Gehör einige Verbesserungen feststellen
zu können. An dieser Stelle vielen Dank an Frau Lessle, meine ehemalige
Gesangslehrerin, für die ganzen hilfreichen Tipps die sie mir gegeben hat.
Zusammen mit einigen von meinen alten Gesangsetüden, die mir meine Eltern
geschickt haben lässt sich, glaube ich, einiges bei dieser Schülerin bewegen.
Auch zum Thema Gesang: Da hier, so wie es schein alles eine
offizielle Hymne zu haben scheint, nur meine Schule bis jetzt noch nicht, will der
Musiklehrer meiner Schule will eine Schulhymne zusammenstellen und dabei das
relativ gut Schulorchester (nur möglich durch eine großzügige Instrumentenspende
an die Schule) verpflichten. Außerdem hat er mich gefragt ob ich die Hymne
singen will. Da kann ich natürlich nicht nein sagen. Wenn die Aufnahme dann mal
existiert kann ich sie vielleicht auch hier in meinen Blog stellen.
Abgesehen von Schule ist doch noch etwas passiert: Ich war,
zwar nicht sehr schlimm und als letzter von den AFS-Freiwilligen in Sogamoso,
krank. Lediglich ein bisschen Fieber und Gliederschmerzen und auch nur zwei
Tage. Ich hab die Zeit, wo ich nicht in der Schule war natürlich produktiv genutzt
und hab mir in beinahe neun Stunden alle
drei Teile von „Herr der Ringe“ reingezogen (die einzigen DVDs in unserem Haus,
die keine Raubkopien sind).
Mini-Fußball, die kolumbianische Nationalsportart, auf dem Sportplatz der Schule |