Dienstag, 25. September 2012

Trari Trara, der Alltag ist da


Da ich das grad eben bei Jans Blog gesehen hab, sage ich euch, dass ich gerade Loch Lomond höre (Wer auf Indie Rock steht à check it out). Das würde erklären, dass dieser Artikel vielleicht einen leicht sentimentalen Unterton hat.  :D

Da wären wir also: der Alltag ist eingekehrt. Ich gehe also jeden Morgen zur Schule, zwei Tage Woche auch mal ein bisschen früher, da die Schule da für mich um 6:15 Uhr anfängt. Meinen Schulweg habe ich seit letztem Wochenende um mehr als 50% abgekürzt indem ich das Fahrrad, das bei uns seit Jahren im Hinterhof rumgammelt und Rost ansetzt auf Vordermann gebracht habe. Das hab ich erstmal gründlich von Hundehaaren und Staub gereinigt und dann zur Generalüberholung in eine Fahrradladen gebracht (wir haben weder Luftpumpe noch Reifenflickzeug). Der Typ dort hat daraufhin eine halbe Stunde daran herumgedoktert und währenddessen beide Reifen geflickt und aufgepumpt, die Bremsen eingestellt und den Sattel und Lenker erhöht während ich mir den Kopf darüber zerbrochen habe, ob die 40 €, die ich dabei hatte überhaupt ausreichen würden.  Nach einer halben Stunde kommt er mit einem wie neu aussehenden Fahrrad aus seiner Werkstätte: Preis: 5.000 Pesos (2,15 €) :D
Außerdem war ich letzte Woche zu Besuch beim Schwimmverein Duitama, weil ich nach einer Möglichkeit suchte endlich mal wieder regelmäßig Sport zu machen. Duitama, eine mittelgroße Stadt, deswegen, weil es dort eine 50 m großes olympisches Schwimmbecken gibt, in dem man auch trainieren kann (in Sogamoso gibt es zwar eine Schwimmbecken, das allerdings geschätzte 36° Grad und die Startblöcke auf der falschen Seite hat und somit gänzlich ungeeignet zum Trainieren ist).  Nachdem mich Freunde meiner Familie, die selber Kinder in dem Schwimmverein haben, freundlicherweise dem Trainer und dieser mich dem Team vorgestellt hatten zog ich also mit ihnen einige Bahnen. Nachdem ich mich schon etwas gewundert hatte über das Programm (Ausdauer: 500 – 400 - 300 – 200 – 100 – 100 – 200 – 300 – 400 – 500) fragte ich mal einen von den Jungs nach ihrer Zeit auf 100 m Kraul: 53 s (de f**ck!!!!!!!!!!!). Ein anderer: 56 s (!!!). Damit hätte er nicht üble Chancen auf den deutschen Meisterschaften und lässt mich mit meiner Bestzeit von 1:01:16 ganz schön alt aussehen… Wenig später auch die Erklärung: Dieser Verein ist kein Verein, sondern die vom kolumbianischen Staat finanzierte Liga Boyacá, die Creme de la Creme des Schwimmsports aus meinem Departamento (Boyacá) in die nur die besten von verschiedenen Vereinen dürfen und die  Boyacá bei nationalen Wettkämpfen vertritt. Außerdem sind machen von den Leuten dort auch in der Selección Colombia also dem kolumbianischen Nationalkader. Dafür müssen sie allerdings auch 6 Tage die Woche von 5 bis 7 Uhr morgens und nach der Schule von 4 bis 7 Uhr Wasser bewegen. So ein Programm lässt nicht nur alles, was ich jemals sportlich gemacht habe alt aussehen, sondern lässt auch wenig Zeit für ein Leben.
Trotzdem wurde ich von allen dort neugierig und begeistert aufgenommen und werde mich demnächst mal mit der Chefin der Liga kurzschließen, ob ich vielleicht auch ein etwas weniger krasses Programm machen kann (ich hab erst ab November 3 Nachmittage frei, weil dann mein Spanischkurs und meine Englisch Nachhilfen, die ich an der Privatschule meines Gastbruders gebe, aufhören).
An sonsten läuft sportmäßig im Moment nicht so viel bei mir (außer einige kleine Versuche ein bisschen zu joggen und einem Tanzkurs der demnächst anfangen wird, wenn man das als Sport bezeichnen will), was mich ein wenig nervt. Nicht so sehr habe ich einen extremen Bewegungsdrang, sondern vielmehr gehört zu meinem allgemeinen Wohlbefinden einfach ein Mindestmaß an Sport ohne das ich mich irgendwie weich fühle. Außerdem das ich, glaube ich, abgenommen hab, hab ich auch ziemlich Muskeln abgebaut…:(
Wo wir bei meinem Gefühlsleben wären (mache wundern sich jetzt vielleicht, aber ja, es existiert :D). Das was ich ins Internet herausposaunen werde ist das: Kein High Life, aber auch keine Depression. Das ganz normale Glücksniveau, das sich einstellt wenn man halbwegs regelmäßig mit neuen interessanten Sachen gefüttert wird. Der Alltag ist eben komfortabel, aber immer noch Alltag. Verglichen mit anderen Freiwilligen hier lebe ich allerdings geradezu auf einem Endorphintrip…
Um diesen Alltag zu bekämpfen werden wir, meine Familie und ich, allerdings in den Schulferien im Oktober für eine Woche nach Yopal fahren und dort Familie und andere Freiwilligen besuchen (Iuhu!). Yopal ist warm und das mag ich; so einfach ist das. Außerdem hab ich gestern meinen Flug an den Amazonas für Dezember gebucht… :D

Bis demnächst, meine interessierten und fleißigen Leser.

Sonntag, 16. September 2012

Mein neues Zuhause - Teil 2


Sodass ihr, meine Leser euch ein besseres Bild von meinem Umfeld hier machen könnt werde ich noch von einigen Sachen berichten, die mir in den letzten Wochen aufgefallen sind und sich teilweise sehr von Deutschland unterscheiden.
So sind zum Beispiel die Straßen hier sehr anders aus: Der Großteil der Häuser hier sind relativ neu und relativ quaderförmig mit zwei bis drei, in der Innenstadt auch mehr Stockwerken. Bei vielen ist nur die der Straße zugewandte Seite verputzt. Außerdem beschreiben bei den meisten die Außenmauern die Grenze des Grundstücks, was zumindest in der Stadt normalerweise keinen Platz für einen Garten lässt. Üblicher ist ein Patio, ein kleiner von Mauern, oder ganzen Häusern umgebener Innenhof. Auf dem Land, oder an den Stadträndern hingegen wird von vermögenderen Leuten auch großzügiger gebaut.
Sogamoso von oben
Eine andere Kuriosität: Hunde sind hier viel häufiger als in Deutschland. Für einige Straßen trifft die Faustregel ein Haus ein Hund locker zu. Auf dem Land haben einige Familien auch gerne ein Rudel von um die fünf Hunden um ihr Haus und Hof gegen Eindringlinge zu verteidigen. Zudem  gibt es hier extrem viele streunende Hunde, die auch in Rudeln durch die Straße ziehen. Dies führt dazu, dass all diese Hunde, sowie deren Hinterlassenschaften zum alltäglichen Straßenbild gehören.



Sogamoso
Wirtschaftlich habe ich von Sogamoso bis jetzt nur so viel mitgekriegt, dass es hier zwei Zementfabriken gibt, eine davon schweizerisch, und da es hier sehr viel Terrakotta gibt einige Ziegelbrennereien im Familienbetrieb an den Hängen des Tals, die einen bestialisch stinkenden Rauch abgeben. Zudem hat Sogamoso eine Waffenfabrik; ein weiterer Akteur, der nicht daran interessier ist, dass der kolumbianischer Dauerkonflikt in absehbarer Zukunft aufhört... 
Ziegelofen
Ansonsten wurde in der Zeit, in der ich bis jetzt hier war so einiges geboten. Zum Beispiel war in Tunja, der Provinzhauptstadt, das „Festival Intercultural de la Cultura“ mit einer Parade mit vielen Bands und bunt geschmückten Tänzern und Stelzenläufern, sowie eine Präsentation von traditionell Kolumbianischen Tänzen aus allen Regionen des Landes.
Parade zum Festival International de la Cultura in Tunja
 Außerdem bin ich, wie alle Lehrer meiner Schule, 50 unserer Schüler, zahlreiche Würdenträger der Stadt und einige Soldaten und Reservisten, zu denen auch mein Vater gehört, am 6. September dem 202. Gründungstag der Stadt Sogamoso bei einer Parade mitgelaufen. Dabei wurde ich, im obligatorischen Anzug, zur Rechten meiner Rektorin platziert und noch extremer als sonst von allen Leuten angestarrt. Somit kennt mich spätestens seit da die halbe Stadt (neulich hat mich ein wildfremder Taxifahrer mit Namen gegrüßt). Allerdings waren mehr Leute in dem Umzug, als zugeguckt haben.    
Eine Lehrerin von meiner Schule hat mich, meine Gastgeschwister und einen anderen Freiwilligen (Timo)  zudem mit auf eine für Kolumbien eher ungewöhnliche Vergnügung in der Nachbarstadt (Duitama) mitgenommen. Eine Truppe aus Sankt Petersburg führte auf einer provisorischen 10x20 Meter großen Eisfläche Dornröschen in der städtischen Sporthalle als Eiskunstlaufballett auf und die halbe Stadt war da. Nach dem Prinzip der kolumbianischen Großzügigkeit wurden ich und der andere Freiwillige dazu eingeladen und uns wurde außerdem dazu eine Tüte frittierte Schweinehaut spendiert, eine kolumbianische Spezialität, an der ich jedoch herzlich wenig  Gefallen finden kann. Alles in allem also ein toller Abend; lediglich ein bisschen skurril, da Kolumbien der letzte Ort auf der Welt war, an dem ich erwartete russischen Eiskunstlauf zu sehen.
In Zukunft werde ich auch einige Exkurse über bestimmte Themen schreiben in denen ich meine Erfahrungen mit dem jeweiligen Thema zusammenfassen werde. Also: freut euch drauf!! J

Mittwoch, 12. September 2012

Meine Schule


Hier ist endlich der von euch brandheiß erwartete nächste Eintrag in meinem Blog, der endlich und endgültig mein Projekt beschreibt:
Meine Aufgabe hier besteht daraus an einer Schule, die sich Educativo Técnico San Martin de Tours nennt, Englisch zu unterrichten. Die Schule hat ca. 350 Schüler der Klassen 1-11 (in Kolumbien ist mit der 11ten Klasse die Schule vorbei) von denen ca. 110 verschiedene Behinderungen haben, alle jedoch aus den ärmsten Schichten der Bevölkerung kommen  und teilweise in extremer Armut leben und/oder schwierige Familienverhältnisse haben. So sind die Eltern von einigen meiner Schüler Trinker, im Gefängnis oder prostituieren sich. Teilweise müssen sie auch mit 3.000 Pesos (1,50 €)am Tag auskommen und kommen deshalb ohne Frühstück in die Schule; wobei das warme Mittagessen, das in dort serviert wird gut aufgenommen wird.
Die Behinderungen der Schüler bestehen zum Großteil aus Blindheit, Taubheit oder Stummheit, allerdings gibt es auch Schüler mit Down-Syndrom, Autismus und körperlichen Behinderungen. Dabei wird versucht wo es geht integriert zu unterrichten, d.h. alle zusammen, zu unterrichten. Das macht den Unterricht nicht unbedingt leichter, weil z.B. für die blinden extra Braille-Sachen besorgt werden müssen oder man z.B aufpassen muss, dass man den Autisten nicht reizt, weil er sonst schnell ungemütlich wird. Außerdem ist die Schule ist öffentlich und hat dementsprechend wenig (Lehr-)mittel. Die Fachschaft Englisch, bestehend aus einer Lehrerin und mir hat z.B. nur deshalb ein Buch zu Verfügung, weil es sich die Lehrerin selbst angeschafft hat (von Büchern für die Schüler ganz zu schweigen). Kopien, Tafelanschriebe und kleine Kärtchen an der Tafel sind deshalb ebenso vorherrschend wie langweilig.
Meine Aufgabe besteht nun darin, vormittags der Englischlehrerin beim Unterrichten der Klassen 6-11 zu helfen und selbst die Klassen 1-5 Nachmittags zu erledigen.  Das klappt auch sehr gut, weil wir uns sehr gut verstehen und ergänzen; wahrscheinlich auch deshalb, weil wir im Vergleich zur restlichen Lehrerschaft relativ jung sind (sie ist Mitte zwanzig).  Das Level von Englisch bei den Schülern ist dabei extrem niedrig: In der 8 können die meisten gerade Sätze wie „John live house blue.“ bilden; in der 11. einfache Geschichten über einen Bauern und seine Söhne nach mehrmaliger Wiederholung mit Mühe verstehen. Das liegt vor allem daran, dass die Lernmotivation häufig sehr gering ist und die Schüler außerdem grundsätzlich nichts zuhause tun (Hausaufgaben aufzugeben hat die Lehrerschaft größtenteils aufgegeben). Die Lernmotivation ist vor allem deshalb so niedrig weil so gut wie kein Schüler von der Schule Englisch jemals in seinem Leben brauchen wird. Wegen dieser traurigen Tatsache und, weil viele der Schüler nachmittags arbeiten müssen tun sie auch nichts zu Hause. Dementsprechend liegt der Fokus beim Unterrichten nicht auf der Vermittlung von Fachwissen sondern darauf die teilweise sehr schwierigen Klassen unter Kontrolle zu halten (was mir, mit meinem bescheidenem Spanisch, wie ich finde relativ gut gelingt).
Im Gegensatz dazu wurde ich aber wohl noch nie so begeistert aufgenommen: Ich kann keine 2 m über den Schulhof gehen, ohne dass irgendjemand mir die Hand schütteln will, mich Sachen über Deutschland fragt oder mit mir Fußball spielen will. Neulich musste ich schon Autogramme geben und manchmal werde ich von meinen 14-jährigen Schülern angemacht!!
Im Großen und Ganzen bin ich also mit meinem Projekt vollauf zufrieden, bin auf einen Punkt: Ich muss dienstags und mittwochs um 5:00 Uhr aufstehen, weil die Schule um 6.15 Uhr anfängt und ich an den Tagen zur ersten Unterricht hab.  
Soweit also davon. In meinen nächsten Einträgen werde ich außerdem die Personen von denen ich berichte mit ihren Funktionen, die sie für mich haben benennen (Gastschwester, Direktorin, usw…) und nicht mit ihren Namen, weil es mich bei vielen Blocks schon heftig genervt hat, dass die jeweiligen Schreiber von Marco, Angelica, usw. reden und ich als Gelegenheitsleser keine Ahnung habe wer diese Leute sind. Außerdem wird so die Privatsphäre von diesen Leuten geschützt. Wir haben es hier also mit einer „Win-Win-Situation“ zu tun. :D

Montag, 3. September 2012

Mein neues Zuhause


Nachdem wir, wie beschrieben, 4 Tage zur Eingewöhnung in Bogotá verbrachten wurden wir letztendlich  mit einem Bus zu unseren Familien gebracht. Wie schon angedeutet war das Ziel dieser Reise und mein neues Zuhause Sogamoso, eine Stadt mit 150.000 Einwohnern auf knapp 2600 m im Departmento Boyaca, ca. 150 km nordöstlich von Bogotá gelegen. Dazu wurden wir zuerst nach Tunja, die Provinzhauptstadt gebracht, wo ich von meiner Familie abgeholt wurde. Meine Familie besteht aus Miguel und Patricia, meinen Gasteltern, beide um die 50, Richter und sehr liebenswürdig, Miguel, 15, meinem Gastbruder, der noch zur Schule geht und Laura, 18, meiner Gastschwester, die mit der Schule fertig ist und gerade in Bogotá Anthropologie studiert. Alle von ihnen sind sehr liebenswürdig, interessiert und aufgeschlossen gegenüber neuem, was auch ein Grund dafür ist, dass Laura schon mit AFS, meiner Austauschorganisation, für ein Jahr in der Schweiz war und sehr gut Deutsch spricht und sowohl Miguel der Jüngere als auch Patricia einen Französischkurs machen.
Meine Familie: Miguel - Patricia - Christian - Miguel
Nachdem sie mich abgeholt hatten fuhren wir an einen See, wobei ich mich zum ersten Mal fragte wohin ich hier überhaupt gekommen bin: Die Szenerie, ein mittelgroßer See auf dem Tagestouristen aus Bogotá Paddelboot fuhren, angenehme 18 Grad, eine leichte Brise, um den See saftig grüne Hügel mit kleinen Waldflecken und Ferienhäusschen. Wenn mir jemand noch vor einem Monat diese Landschaft gezeigt hätte, hätte ich am sie am ehesten in Österreich oder Schweiz platziert, niemals jedoch in Kolumbien, das ich mit tropischen Stränden, Regenwald und evtl. noch mit Graslandschaften verband. So ähnlich könnt ihr euch auch die Landschaft um Sogamoso vorstellen.
Schwei oder Kolumbien, das ist hier die Frage!
Unser Haus ist, wie sich nach meiner Ankunft herausstellte ein mittelgroßes Reihenhaus  mit zwei Stockwerken mit einem kleinen Patio (kleiner Innenhof, der zu jedem Lateinamerikanischen Stadthaus gehört), auf der der Straße abgewandten Seite. Im zweiten Stock bewohne ich das kleine aber feine Zimmer, das Laura gehörte, als sie noch zur Schule ging. Bei meiner Ankunft wurde ich auch mit dem letzten Familienmitglied vertraut gemacht: Hermes, unser gegenüber Artgenossen etwas schreckhafter, aber gegenüber Menschen sehr zutraulicher Golden Retriever.
Kolumbianische Landschaft
Beinahe wie ein Familienmitglied ist auch Maria unsere „Empleada“ (Hausangestellte), die seit mitlerweile 12 Jahren bei meiner Familie angestellt ist (Hausangestellte sind in Kolumbien ab Mittelschicht aufwärts eher die Regel als die Ausnahme). Sie kocht für uns Frühstück und Mittagessen, hält das Haus sauber, wäscht und macht die Betten. Sie ist schon so weit Familienmitglied, dass mein Gastvater der Pate ihrer Tochter ist, obwohl noch eine gewisse Distanz merkbar ist (sie isst auf einem kleinen Tisch in der Küche während wir am Esstisch sitzen). Ich fürchte, dass so eine Rundumversorgung für mich nicht die beste Vorbereitung auf eine entbehrungsreiche Studentenzeit ist, bequem ist sie aber allemal.


Mehr zu meinen ersten Tagen meinem Umfeld und auch meinem Projekt in meinen nächsten Einträgen…